Mutige Architektur

Das Überraschungsei von Lindern

Sie hat in Dubai gearbeitet und in London, doch sie ist gern nach Lindern zurückgekehrt. Heute arbeitet Claudia Weß mit ihrem Vater Hans in dem von ihm einst gegründeten Architekturbüro. Mit einem respektvoll „Ei" genannten Kindergarten hat sie der Gemeinde einen Blickfang für die Ewigkeit beschert.

An dieser Aufgabe scheitern viele Architekten: Alt und Neu zusammenzubringen. Andere laufen zur Höchstform auf. Claudia Weß ist die Symbiose von Historie und Moderne auf besonders ansprechende Weise gelungen. Im Herzen der Gemeinde Lindern hat sie ein Ensemble geschaffen, das seine Funktion als Kindergarten und Krippe voll und ganz erfüllt, zugleich schnell zum ortsprägenden Hingucker geworden ist.

Dabei könnte der Kontrast kaum größer sein. Hier der denkmalgeschützte Klinkerbau und dort, wo einst die Stallungen der Familie Eilers standen, ein lichtdurchfluteter Neubau wie aus dem Musterbuch der modernen Architektur entliehen. „Die Herausforderung bestand darin", verdeutlicht Claudia Weß, „bereits Vorhandenes nicht einfach zu imitieren, sondern neue Akzente zu setzen und das Bestehende damit sogar aufzuwerten". Dennoch kam die heute 43-Jährige mit der Planung schnell voran.

Architektur ist im Hause Weß Familiensache. Vater Hans gründete sein Büro vor über 40 Jahren und machte einen Leitsatz zur Grundlage seiner Philosophie: „Gebäude sollen die Persönlichkeit der Bauherren unterstreichen und sind Ausdruck eines individuellen Lebensstils." Tochter Claudia wollte zunächst Innenarchitektin werden, entschied sich dann aber um und verbrachte mehr als dreieinhalb Jahre in großen Architekturbüros in Dubai und London. „Das war eine spannende Zeit, aber ich kam kaum zu meiner eigentlichen Leidenschaft, dem Entwerfen."

Das ist heute anders. Das Architekturbüro ist auf die individuelle Planung von Gebäude-Entwürfen spezialisiert. Die im gleichen Hause ansässige planen & bauen GmbH kümmert sich anschließend um das schlüsselfertige Erstellen. Persönliche Beratung und intensiver Gedankenaustausch sind der zweifachen Mutter wichtig, denn sie legt größten Wert auf die Einmaligkeit und die Individualität der Bauten – unabhängig davon, ob es sich um Privathäuser, Büro- oder Geschäftsgebäude handelt. Dass ihr Vater weiter „voll im Geschäft" ist, freut sie: „Auf seine Erfahrung und seine Kreativität möchte ich in keinem Fall verzichten."

Das Linderner Überraschungsei hat es 2020 sogar auf die Projektliste zum Niedersächsischen Architekturtag geschafft. Eine Art Ritterschlag in der Branche. Mit der Kindertagesstätte „Thuiners Gorn" habe man eine Sonderform geschaffen, „die sich durch Gestalt und Material bewusst vom Bestand absetzt", lobte die Jury den einzigen ausgewählten Entwurf aus dem Oldenburger Münsterland.

Was unterm Strich bleibt ist Anerkennung. Respekt für den Mut und die Fähigkeit, einen eher ungewöhnlichen Weg zu gehen und eine Idee in die Tat umzusetzen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht die naheliegendste war. Und dazu Respekt für die Entscheidung, auf dem eigenen Lebensweg eine Kehrtwende eingelegt und die Gemeinde Lindern den Weltmetropolen Dubai und London vorgezogen zu haben.

Claudia Weß ist im Architekturbüro ihres Vaters tätig: www.hans-wess.de

Das Überraschungsei Alt und Neu in einen Dialog treten zu lassen – Claudia Weß ist etwas gelungen, woran sich Architekten häufig die Zähne ausbeißen. Mit ihrem Team hat sie das unter ­Denkmalschutz stehende Haus der Familie Eilers in ­Lindern durch einen ­modernen, hellen und ­respektvoll nur „Ei" genannten Neubau ergänzt und der ­Gemeinde so mit dem Kindergarten „Thuiners Gorn" zu einem viel beachteten Schmuckstück verholfen.
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